Melatonin zum Einschlafen: Wie gut sind Melatonin-Präparate?
Melatonin-Produkte werden immer beliebter. Ernsthafte Studien zur Wirksamkeit von künstlichem Melatonin gibt es bisher aber kaum. Lohnt sich Melatonin zum Einschlafen oder handelt es sich dabei um ein Produkt ohne Mehrwert? Unser Artikel verrät es.
Melatonin zum Einschlafen ist der neuste Hit bei Menschen mit Schlafschwierigkeiten. Das künstlich hergestellte Hormon gibt es mittlerweile ganz ohne Rezept in Apotheken und Drogeriemärkten zu kaufen. Doch wie gut ist künstliches Melatonin? Wirkt es tatsächlich oder kann man sich das Geld für diese Produkte sparen?
Wir haben mit Dr. phil- Dipl.-Psych. Hans Günter Weeß über Melatonin-Produkte gesprochen. Der Psychotherapeut und Somnologe leitet die Schlafmedizinische Abteilung des Pfalzklinikums Klingenmünster und ist seit 2008 Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. In seinem Buch „Schlaf wirkt Wunder: Alles über das wichtigste Drittel unseres Lebens“ gibt er zahlreiche Tipps und Tricks für einen entspannten und erholsamen Schlaf. Auf der Webseite schlafensiebesser.de bietet Dr. Weeß Onlinekurse für einen besseren Schlaf an.
Doch zunächst:
Was ist Melatonin?
Eigentlich ist Melatonin ein körpereigenes Hormon, das von unserem Gehirn in der Zirbeldrüse hergestellt wird und unter anderem unseren Schlaf-Wach-Rhythmus (zirkadianen Rhythmus) steuert. Häufig wird Melatonin auch das „Schlafhormon“ genannt. Es spielt für einen erholsamen Schlaf eine entscheidende Rolle.
Unser Körper beginnt mit der Ausschüttung von Melatonin zum Einschlafen in der Regel, wenn es dunkel wird und stellt die Melatoninproduktion wieder ein, wenn der Tag anbricht. Da Licht und Aufregung die Produktion von Melatonin hemmen können, raten Experten davon ab, Smartphones, Tablets oder Laptops im Bett zu nutzen.
Übrigens: Es gibt keinen Hinweis darauf, dass blaues Licht unseren Schlaf stärker beeinflusst als andere Lichtarten. Mehr darüber erfährst du in unserem Artikel: „Beeinflusst blaues Licht unseren Schlaf?“
Melatonin zum Einschlafen: Diese Produkte sind frei erhältlich
Mittlerweile gibt es zahlreiche verschiedene Melatonin-Produkte auf dem Markt. Meist liegt der Anteil an Melatonin zum Einschlafen bei einer empfohlenen Dosis zwischen 0,5 und 1 Milligramm. Folgende Melatonin-Produkte sind üblich:
- Kapseln: Wird meist in Verpackungen mit 30 und mehr Kapseln angeboten. Häufig sind noch andere Stoffe wie Passionsblume, Melisse, Kamille, Lavendel oder Baldrian enthalten.
- Spray: Gibt es sowohl für die Nase als auch für den Mund. Die zu nutzende Menge kann zwischen drei und acht Sprühstöße pro Dosis betragen.
- Fruchtgummis: Relativ neues Produkt. Neben Melatonin zum Einschlafen sind auch hier oft zusätzliche Inhaltsstoffe wie Melisse, Lavendel und Mohn enthalten.
- Getränkepulver: Sieht häufig aus wie Milch. Wird auch eigentlich nie als reines Melatonin-Produkt angeboten. Weitere Stoffe sind häufig Zimt, Honig oder Lavendel.
Unabhängig vom Produkt, konnten Studien bisher noch keine Wirksamkeit feststellen. Dies liegt vor allem an der geringen Melatonin-Menge in den Präparaten. Sie darf in freiverkäuflichen Produkten in Deutschland nämlich ein Milligramm pro Dosis nicht überschreiten. Eine Wirkung von künstlichem Melatonin zum Einschlafen beginnt aber erst ab zwei Milligramm. Und das auch nur bei sehr leichten bis leichten Schlafproblemen.
Wichtig: Von einer Erhöhung der empfohlenen Dosis raten wir dringend ab! Wie oben schon erwähnt, sind in den meisten frei verkäuflichen Melatonin-Produkten noch andere Inhaltsstoffen enthalten. Wer einfach die Einnahme von Melatonin zum Einschlafen erhöht, erhöht auch die Dosis der in den Produkten enthaltenen Nebenstoffen und riskiert schwere Nebenwirkungen.
Wirkt künstliches Melatonin?
Frei verkäufliches Melatonin besitzt keine Wirkung. Zumindest konnte das bisher noch keine Studie belegen. Es ist also anzunehmen, dass die Wirkung von rezeptfreien Melatonin-Produkten nicht über den Placebo-Effekt hinausgeht. Somnologe Dr. Weeß meint dazu: „Ich weiß von einer Vielzahl meiner Patienten, dass freiverkäufliches Melatonin keine direkte schlafförderliche Wirkung hat.“
Bei verschreibungspflichtigen Mitteln verhält es sich etwas anders. Zwar ist auch hier die Wirkung eher gering, allerdings kann hier Melatonin zum Einschlafen tatsächlich helfen. Zumindest bei leichten Schlafstörungen. „Die einzige Situation, in der wir Melatonin empfehlen, ist, wenn Erwachsene mehr als fünf Zeitzonen in Richtung Osten überfliegen“, sagt Weeß. Der Psychotherapeut meint aber auch: „Das Melatonin sollte direkt an der Bettkante eingenommen werden“.
Kann künstliches Melatonin Nebenwirkungen haben?
Ja, Dr. Weeß weiß: „Manche Menschen berichten über Kopfschmerzen, Schwindel oder Albträume.“ Auf die leichte Schulter sollte man also auch das frei verkäufliche Melatonin zum Einschlafen nicht nehmen. Vor allem, weil das Hormon in diesen Produkten so gut wie nie alleine enthalten ist, sondern mit vielen anderen Wirkstoffen gemischt wird.
Beim Thema Wirkstoffe sind rezeptpflichtige Melatonin-Produkte übersichtlicher. In ihnen ist ausschließlich reines Melatonin enthalten. Doch ob rezeptpflichtig oder rezeptfrei: Es ist zu bezweifeln, dass künstliches Melatonin überhaupt dort ankommt, wo es hin soll – im Gehirn. „Jeder weiß, dass das körpereigene Melatonin wichtig für den Schlaf ist“, meint Weeß, „Deswegen denkt man, dass auch von außen zugeführtes Melatonin den Schlaf unterstützt. Was es aber nicht tut, wie die Studien zeigen.“
Interview mit Dr. Hans Günter Weeß
MeinSchlaf: Herr Dr. Weeß, kann die Einnahme von Melatonin überhaupt etwas bewirken?
Dr. Weeß: Wenn wir uns die wissenschaftliche Datenlage zu Melatonin anschauen, sowohl freiverkäuflichem als auch rezeptpflichtigem Melatonin, dann kommen wir zu dem Schluss, dass künstliches Melatonin eigentlich keine Wirksamkeit hat, weil es keine entsprechenden Studien gibt, die das belegen. Wenn, dann hilft rezeptpflichtiges Melatonin nur bei leichten Schlafstörungen. Wenn wir uns aber vergegenwärtigen, dass in diesen freiverkäuflichen Produkten – es gibt ja einen regelrechten Hype um Kapseln, Lösungen, Sprays und Kaugummis – noch eine viel geringere Menge an Melatonin enthalten ist, dann muss man sich fragen wie diese geringe Dosierung eine Wirkung haben sollen. Die Wirkung geht über Placebo nicht hinaus.
MeinSchlaf: Also kann man bei der Wirkung von einem Placebo-Effekt sprechen?
Dr. Weeß: Auch der Placebo-Effekt wurde bisher wissenschaftlich nicht untersucht. Daher kann ich darüber nicht wirklich sprechen oder kann das behaupten. Aber ich weiß von einer Vielzahl meiner Patienten, dass freiverkäufliches Melatonin keine direkte schlafförderliche Wirkung hat. Es gibt nur ganz wenige Menschen bei denen dieser Stoff tatsächlich den Schlaf subjektiv verbessert. Ich hätte das Gefühl, dass ich meine Patienten schlecht behandeln würde, wenn ich ihnen Melatonin als Option anbieten würde.
„Sie werden mit pflanzlichen Schlafmitteln mittelschwere oder schwere Schlafstörungen nicht erfolgreich behandeln können.“
MeinSchlaf: Bekannte Mittel bei Einschlafschwierigkeiten sind ja Baldrian oder Lavendel. Würden sie also eher diese Mittel empfehlen?
Dr. Weeß: Auch dazu ist die Studienlage sehr schlecht. Man kann auch für diese pflanzlichen Präparate aufgrund der Studienlage keine Empfehlung aussprechen. Aber durch meine klinische Erfahrung würde ich sagen: Baldrian hochdosiert oder Lavendel-Produkte hochdosiert kann man bei leichten Schlafstörungen mit leichten Unruhezuständen, keinen ausgeprägten Unruhezuständen, zumindest einmal probieren. Aber Sie werden mit pflanzlichen Schlafmitteln mittelschwere oder schwere Schlafstörungen nicht erfolgreich behandeln können.
MeinSchlaf: Was ist denn der Unterschied zwischen den rezeptpflichtigen und frei erhältlichen Melatonin-Produkten?
Dr. Weeß: Rezeptpflichtige Produkte sind reine Melatonin-Produkte. Sie haben eine höhere Dosierung. Frei verkäufliche Produkte bestehen meist aus einer Mixtur aus Melatonin und anderen, vermeintlich schlafanstoßenden oder schlafunterstützenden Stoffen, frei nach dem Prinzip: „viel hilft viel“. Aber das ist nicht so. Es gibt genügend pflanzliche Produkte mit Hopfen, Melisse und Baldrian. Zu diesen Produkten würde ich nicht raten. Meine Empfehlung wäre Baldrian pur, in hoher Dosierung.
MeinSchlaf: Können Sie Melatonin überhaupt empfehlen?
Dr. Weeß: Die einzige Situation, in der wir Melatonin empfehlen, ist, wenn Erwachsene mehr als fünf Zeitzonen in Richtung Osten überfliegen. Man also früher ins Bett gehen muss. Hier kann Melatonin die Anpassung an die neue Zeitzone positiv beeinflussen. Aber wichtig: Das Melatonin sollte direkt an der Bettkante eingenommen werden. Nicht eine halbe Stunde oder Stunde vorher, denn dann kann das Melatonin an seiner Wirkung behindert werden. Aber bitte immer bedenken: Melatonin ist nicht völlig harmlos. Es kann zwar nicht abhängig machen, wie viele andere Schlafmittel, aber Neben- oder Wechselwirkungen sind durchaus möglich. Manche Menschen berichten über Kopfschmerzen, Schwindel oder Albträume.
„Melatonin ist nicht völlig harmlos. Es kann zwar nicht abhängig machen, aber Neben- oder Wechselwirkungen sind durchaus möglich sind“
MeinSchlaf: Besteht die Gefahr mit künstlichem Melatonin in Funktionen unseres Körpers einzugreifen?
Dr. Weeß: Man muss wissen, dass das körpereigene Melatonin – neben anderen Mechanismen wie Adenosin beispielsweise – sehr wichtig für den Schlaf ist. Das heißt aber nicht, dass künstlich zugeführtes Melatonin auch dort im Gehirn ankommt, wo es ankommen soll. Das ist die Stärke der Werbung. Jeder weiß, dass das körpereigene Melatonin wichtig für den Schlaf ist. Deswegen denkt man, dass auch von außen zugeführtes Melatonin den Schlaf unterstützt. Was es aber nicht tut, wie die Studien zeigen. Es gibt auch genügend Lebensmittel, die Melatonin enthalten. Bananen etwa oder Gurken, Pilzen und Cashewnüssen. Aber jetzt abends vier Bananen zu essen, macht keinen Sinn. Man müsste ungefähr 200 Kilo Bananen essen oder eine Tonne Gurken, um die Wirkung von 0,1 Milligramm Melatonin zu erreichen.
MeinSchlaf: Sie sagten, bei Reisen über mehrere Zeitzonen hinweg könnte Melatonin helfen. Gibt es ein rezeptfreies Produkt, welches Sie empfehlen würden?
Dr. Weeß: Nein. Nichts von dem würde ich empfehlen, schon alleine, weil nichts von den genannten Präparaten untersucht wurde. Mit der oben genannten Empfehlung beziehen wir uns auf Melatonin in einer Dosierung von zwei oder drei Milligramm. Und diese Mengen sind in freiverkäuflichen Produkten nicht enthalten.
MeinSchlaf: Herr Dr. Weeß, vielen Dank für das Interview.
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Dr. phil- Dipl.-Psych. Hans Günter Weeß ist Psychotherapeut, Somnologe und Leiter der Schlafmedizinischen Abteilung des Pfalzklinikums Klingenmünster. An der Universität Koblenz- Landau (WIPP) ist er als Dozent tätig und seit 2008 Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin.
In seinem Buch „Schlaf wirkt Wunder: Alles über das wichtigste Drittel unseres Lebens“ gibt er zahlreiche Tipps und Tricks für einen entspannten und erholsamen Schlaf. Auf der Webseite schlafensiebesser.de bietet Dr. Weeß Onlinekurse für einen besseren Schlaf an.
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Quellen:
Stiftung Warentest: Hormon Melatonin.
Bundesinstitut für Risikobewertung „Wunderdroge“ Melatonin ist kein Nahrungsergänzungsmittel.
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Gerichtsverfahren des BVL zu melatoninhaltigen Erzeugnissen – Abgrenzung Lebensmittel / Arzneimittel.