Schlaflexikon

Night-Eating-Syndrom

Night-Eating-Syndrom

Nachts aufwachen und etwas essen, ist kein unbekanntes Phänomen. Circa 1,5 Millionen Menschen in Deutschland müssen jede Nacht aufstehen und große Mengen essen. Night-Eating-Syndrom wird die Essstörung genannt. Ernährungsexpertin Dr. med. Meike Diessner gibt Antworten.

Night-Eating-Syndrom: Mann steht nachts vor einem Kühlschrank.
Beim Night-Eating-Syndrom gehört der nächtliche Gang zum Kühlschrank zum Alltag. Bild: iStock

Jeder kennt es: Man schläft schlecht oder wacht nachts auf, kann nicht mehr einschlafen und geht kurz zum Kühlschrank etwas knabbern. Wer hin und wieder solche Ausflüge zum Kühlschrank startet, muss sich keine Sorgen machen.

Anders sieht es allerdings beim Night-Eating-Syndrom (NES) aus. Bei dieser Erkrankung wacht die betroffene Person (fast) jede Nacht auf, um zum Kühlschrank zu gehen und große Mengen zu essen. Teilweise essen Betroffene Mengen, die andere innerhalb von 24 Stunden verzehren. Wie kommt es zu dieser Krankheit?

Was ist das Night-Eating-Syndrom?

NES wurde erstmals 1955 als erkannte Störung beschrieben. Die Forscher erkannten schon damals, die Erkrankung durch ein abendliches übermäßiges Hungergefühl (Hyperphagie) und Schlaflosigkeit definiert ist. „Beim Night-Eating-Syndrom handelt es sich um mehr als eine schlechte Angewohnheit, vielmehr um eine Essstörung“, sagt Dr. med. Meike Diessner.

Das Night-Eating-Syndrom kennzeichnet sich demnach vor allem dadurch aus, dass betroffene Personen generell schlecht schlafen und regelmäßig nachts wach werden, um große Mengen Nahrung zu essen. Morgens wiederum essen die meisten Erkrankten schlecht oder gar nicht.

Welche Symptome hat NES?

Das Night-Eating-Syndrom kann viele verschiedene Symptome haben. Viele Nachtesser leiden neben der verstärkten Nahrungsaufnahme in der Nacht und Schlafstörungen noch an folgenden Beschwerden:

  • Stress
  • Depressionen
  • Diabetes Typ 2
  • Angststörungen
  • Stimmungsschwankungen
  • starkes Übergewicht (Adipositas)
  • morgendliche Anorexie

Zudem sind Betroffene häufig anfällig für verschiedene Süchte, wie etwa Tabak, Alkohol oder andere Drogen. Auch Sexsucht kann (in selten Fällen) als Symptom des Night-Eating-Syndroms auftreten.

Starke Sorgen um das Aussehen

Betroffene von NES zeigen charakteristisch eine besondere Sorge um und ihr Aussehen. Deswegen kommt es häufig vor, dass Nachtesser eine normale Figur haben. In solchen Fällen essen Erkrankte zwar nachts große Mengen, nehmen dafür aber tagsüber kaum Nahrung zu sich. Besonders beliebt bei betroffenen Personen sind kohlenhydratreiche Lebensmittel. Eiweißreiche Nahrung wird hingegen oft verschmäht.

Studien haben gezeigt, dass meist die Personen unter Adipositas durch NES leiden, die generell ein Problem mit ihrem Gewicht haben. In diesem Sinne ist das Night-Eating-Syndrom nicht grundsätzlich ein Auslöser für Übergewicht, allerdings kann die Krankheit dies bei anfälligen Personen verstärken.

Wodurch wird NES ausgelöst?

Da die Erkrankung häufig Schambesetzt ist und verschwiegen wird, war sie bisher kaum Gegenstand der Forschung. Dadurch sind die Ursachen noch nicht restlich geklärt. Forscher vermuten folgende Auslöser für das Night-Eating-Syndrom:

  • Genetik
    Eine empirische Studie legt nahe, dass NES vererbt werden kann, da es familiär gehäuft auftritt.
  • Hormone
    Ebenso scheint bei Nachtessern eine Fehlregulation der Hormone Melatonin (ist für unseren Schlaf-Wach-Rhythmus verantwortlich) und Ghrelin (reguliert unsere Hunger- und Sättigungsgefühl) vorzuliegen. Diese Fehlregulation kann neben einem fehlerhaften Essverhalten auch zu Depressionen führen.
  • Erfahrungen
    Us-amerikanische Psychiater haben festgestellt, dass Personen, die unter dem Night-Eating-Syndrom leiden, in ihrer Kindheit übermäßig häufig von emotionalem oder körperlichem Missbrauch betroffen waren. Auch von einer Vernachlässigung als Kind wurde häufig berichtet.

Was hilft gegen das Night-Eating-Syndrom?

Für NES gibt es leider keine Medikamente. Es gibt allerdings ein paar Verhaltensweisen, die Betroffene einführen und die ihnen helfen können, die Erkrankung in den Griff zu bekommen. Dazu gehört:

  1. Bewusst Lebensmittel einkaufen. Keine kohlenhydratreiche Lebensmittel einkaufen, dafür mehr rohes Gemüse und Obst. So fällt die nächtliche Ess-Attacke zumindest gesund aus.
  2. Eher kohlenhydratreich zu Abend essen. Damit kann der Heißhunger in der Nacht auf Kohlenhydrate etwas gemildert oder gar ganz ausgeschaltet werden.
  3. Äußerliche Faktoren reduzieren. Versuchen, Stress abzubauen, Smartphone und andere elektronische Geräte aus dem Schlafzimmer verbannen und eine Abendroutine schaffen, die den Körper auf den Schlaf vorbereitet.
  4. Kleine Hürden zum Kühlschrank bauen. Beispielsweise einen Stuhl vor die Küchentür stellen oder den Kühlschrank mit Klebeband verkleben.

Als erster Schritt sollte ein Arzt aufgesucht werden. Solltest du unter dem Night-Eating-Syndrom leiden, bedenke: Du bist mit dieser Krankheit nicht allein. Ein Arzt kann dir bei deinem Problem helfen und dich zu einem Spezialisten überweisen. Dr. Diessner sagt dazu: „Positive Effekte sind bislang für die kognitive Verhaltenstherapie nachgewiesen worden. Dies ist eine spezielle Form der Psychotherapie.“

Interview mit Dr. med. Meike Diessner

MeinSchlaf: Frau Dr. Diessner, gibt es Schätzungen, wie viele Menschen vom Night-Eating-Syndrom betroffen sind?

Dr. Meike Diessner: Beim Night-Eating-Syndrom handelt es sich um mehr als eine schlechte Angewohnheit, vielmehr um eine Essstörung. Etwa 1-2 Prozent der Bevölkerung sind betroffen. Nachts gelegentlich mal aufzustehen und eine Kleinigkeit zu essen, das macht wahrscheinlich jeder Mensch irgendwann im Laufe seines Lebens. Wer jedoch mehr als 25 Prozent seiner täglichen Nahrungsmenge am späten Abend oder in der Nacht zu sich nimmt, der leidet am Night-Eating-Syndrom. Typisch ist, dass vor allem Kohlenhydrate gegessen werden und wenig Proteine. Dieses Phänomen ist bislang noch nicht vollständig erforscht und zurzeit noch unklar, ob es sich um eine Schlafstörung, eine psychische Erkrankung, um eine eigenständige Essstörung oder um eine Variante des Binge-Eating handelt.

MeinSchlaf: Was kann ich tun, wenn es mich nachts überkommt?

Dr. Diessner: Am besten gar nicht erst so weit kommen lassen. Auf einen strukturierten Tagesablauf, Tag-Nacht-Rhythmus achten und somit auch auf eine regelmäßige Nahrungsaufnahme. Hilfreich kann es sein, seine Nahrungsaufnahme zum Beispiel in einem Ernährungstagebuch zu visualisieren, die körperliche Aktivität zu steigern sowie emotionale Trigger zu erkennen und folglich zu vermeiden, um Rückfälle vorherzusehen. In der Akut-Situation können Entspannungsverfahren wie die Progressive Muskelrelaxation oder autogenes Training den Fokus umzulenken.

MeinSchlaf: Wie kann ich nächtlichen Ess-Attacken vorbeugen?

Dr. Diessner: Da die Ursachen bislang wenig erforscht sind, ist auch der therapeutische Ansatz schwierig. Positive Effekte sind bislang für die kognitive Verhaltenstherapie nachgewiesen worden. Dies ist eine spezielle Form der Psychotherapie. Auch die Anbindung an Selbsthilfegruppen mit dem Austausch von Betroffenen zeigt eine positive Korrelation. In manchen Fällen kann zudem der Einsatz von Psychopharmaka, wie Antidepressiva oder auch die Lichttherapie erfolgreich eingesetzt werden.

MeinSchlaf: Frau Dr. Diessner, vielen Dank für das Interview.

Dr. med. Meike Diessner ist Ernährungsmedizinerin und Spezialistin für konservative und integrative Orthopädie, Akupunktur, Ernährungsmedizin, Sportmedizin, Manuelle Medizin und Naturheilverfahren. Vor kurzem veröffentlichte sie ihr Buch „Natürlich schlank: Gesund abnehmen mit Clean Eating.

Kurz und knapp

Was ist das Night-Eating-Syndrom?

Bei NES handelt es sich um einer Erkrankung, bei der Betroffene meist nachts wachwerden und dann große Mengen Nahrung auf einmal zu sich nehmen. Meist betrifft die Menge der, eines ganzen Tages.

Welche Symptome hat NES?

Zu den Symptomen können Stress, Depressionen, Angststörungen, Stimmungsschwankungen und morgendliche Anorexie gehören.

Wodurch wird NES ausgelöst?

Bisher war die Erkrankung nur selten Gegenstand von Untersuchungen. Forscher nehmen an, dass sowohl eine Vererbung als auch Hormone und negative Erfahrungen in der Kindheit zum Night-Eating-Syndrom führen können.

Was hilft gegen das Night-Eating-Syndrom?

Generell sollte ein Psychologe aufgesucht werden. Es können aber auch selbst verschiedene Schritte unternommen werden, wie beispielsweise den Kühlschrank versperren oder das Kaufen von kohlenhydratarmen Lebensmitteln.

Dr. med. Meike Diessner ist Ernährungsmedizinerin (DGEM) und Spezialistin für konservative und integrative Orthopädie, Akupunktur, Ernährungsmedizin, Sportmedizin, Manuelle Medizin und Naturheilverfahren. Vor kurzem veröffentlichte sie ihr Buch „Natürlich schlank: Gesund abnehmen mit Clean Eating.

Quellen:

National Library of Medicine: Night eating syndrome : diagnosis, epidemiology and management.
Science Direct: Night eating syndrome: A critical review of the literature.
Ärzteblatt: Night-Eating-Syndrom: Mehr als eine schlechte Angewohnheit.