Insomnien nehmen in Deutschland zu
Immer mehr Erwerbstätige in Deutschland leiden unter Insomnien. Laut einer Studie sind circa 80 Prozent aller 35- bis 65-Jährigen von Schlafproblemen betroffen. Fast zehn Prozent haben sogar schwere Schlafstörungen – auch Insomnien genannt. Wir haben mit Schlaf-Experte Dr. Hans-Günter Weeß darüber gesprochen.
Deutschland ist müde. Das zumindest sagt eine Studie der DAK-Gesundheit. Nach dieser leiden rund 80 Prozent aller Erwerbstätigen an Ein- und Durchschlafstörungen. Rund ein Zehntel aller Betroffenen haben sogar mit Insomnien zu kämpfen.
Anstieg von Insomnien enorm
Nach der repräsentativen Studie der DAK fühlen sich rund 80 Prozent aller Arbeitnehmer von Schlafstörungen betroffen. Hochgerechnet auf die Bevölkerung wären dies 34 Millionen Menschen in Deutschland. Unter besonders schweren Schlafstörungen (Insomnien) leidet laut Studie jeder zehnte Arbeitnehmer.
Frauen leiden übrigens etwas häufiger unter Insomnien als Männer. Bei den Männern haben rund acht Prozent mit Insomnien zu tun, bei Frauen sind es mit knapp elf Prozent etwas mehr. Seit 2010 stieg die Zahl der Beschäftigten, die unter Schlafproblemen leiden, um 66 Prozent an. Die Zahl der Betroffenen mit Insomnien stiegen um 60 Prozent.
Kaum ärztliche Behandlungen
Die Große Mehrheit der Erkrankten versucht das Problem alleine in den Griff zu bekommen. Nur knapp fünf Prozent geht damit zum Arzt. Selbst Personen, die unter schweren Insomnien leiden, suchen meist keine Hilfe, über 70 Prozent lassen sich nicht behandeln.
Stattdessen greifen viele Betroffene zur Selbstmedikation. Jede zweite Person, die unter Schlafproblemen leidet, kauft sich Schlafmittel ohne Rezept. Diese werden dann auch von 25 Prozent der Leidenden länger als drei Jahre eingenommen, ohne dass sich beim Arzt ausreichend über die Erkrankung informiert wurde.
Gründe für die Zunahme von Insomnien
Leider lässt sich kaum jemand, der an einer Insomnie leidet, behandeln. Arbeitgeber wissen also kaum etwas von dem Problem. Dabei sind mehr als 40 Prozent aller Erwerbstätigen während der Arbeit müde. Rund ein Drittel ist des Öfteren erschöpft. Und im Vergleich zu 2010 nehmen heute fast doppelt so viele Arbeitnehmer Schlafmittel.
Die Hauptgründe für Ein- und Durchschlaf-Schwierigkeiten sind laut Studie der DAK Gesundheit die ständige Erreichbarkeit und Schichtarbeit. Auch wer auf der Arbeit dauerhaft an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gehen muss, erhöht das Risiko von Insomnien. Es gibt aber noch weitere Faktoren, die für einen schlechten Schlaf sorgen. Darunter fallen:
- Handy- und Computernutzung kurz vor dem Zubettgehen
- Kurz vor dem Schlafen nichts Schweres essen (siehe dazu: Einschlafprobleme? Meide diese 10 Lebensmittel.)
- Ein zu warmes Schlafzimmer
Unser Artikel „Schlafstörungen: 5 Gründe für Probleme beim Durchschlafen“ nennt noch weitere Gründe für einen schlechten Schlaf.
Interview mit Dr. Hans-Günter Weeß
Dr. phil. Dipl.-Psych. Hans-Günter Weeß ist Psychotherapeut, Somnologe und Leiter der Schlafmedizinischen Abteilung des Pfalzklinikums Klingenmünster. Seit 2008 ist er Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin.
In seinem Online-Therapieprogramm „Fit durch gesunden Schlaf“ führt Dr. Weeß Menschen mit Schlafstörungen wieder zu einem tiefen und festen Schlaf.
MeinSchlaf: Herr Doktor Weeß, wie kann man erreichen, dass mehr Menschen ihre Insomnie behandeln lassen?
Dr. Weeß: Zwischen 6 und 10 Prozent der Bevölkerung leiden unter einer behandlungsbedürftigen Ein- und Durchschlafstörung. Bis zu 30 Prozent der Bevölkerung leidet unter schlechtem Schlaf. Sie erfüllen allerdings noch nicht die Kriterien einer Insomnie. Nichtsdestotrotz gibt es viele Menschen, die ein Problem mit dem Schlafen haben. Die Frage finde ich falsch gestellt. Schlafstörungen sind keine Bagatellerkrankungen und viele Menschen suchen Hilfe. Es geht nicht darum, die Menschen zu motivieren sich behandeln zu lassen, sondern es fehlt an den entsprechenden Behandlungsangeboten in unserem Gesundheitssystem. Diese Schwäche in unserem Gesundheitssystem macht sich eine ganze Industrie zunutze, die mit allerhand Sleepgadgets daherkommt.
Deswegen ist eher die Frage: Warum ist unser Gesundheitssystem so schwach, wenn es um die Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen geht? Das hat natürlich zum einen damit zu tun, dass sowohl die Ausbildung in Schlafmedizin für Ärzte und Therapeuten sehr rudimentär und nicht umfassend genug ist. Aber es hat auch etwas damit zu tun, dass wir rein medikamentös behandeln. Dabei handelt es sich um eine rein symptomatische Therapie und keine kausale, also heilende Therapie. Viele Schlafmittel sind leider auch so geartet, dass sie zu Gewöhnung und Abhängigkeit führen. Aus dem Grund gibt es zwischen ein und zwei Millionen Menschen in Deutschland, die von Schlafmitteln abhängig sind. Wir von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin sind sehr bemüht zum einen die Ausbildung von Hausärzten zu verbessern, aber auch die Ausbildung im Studium zu verbessern. Zudem sind wir sehr bemüht, das Wissen über die Therapie weiterzuverbreiten. Wenn wir kausal therapieren wollen, sind bei ganz vielen Fällen kognitiv- verhaltenstherapeutische Ansätze das Mittel der Wahl. Denn viele Insomnien haben keine körperliche Ursache, sondern oft sind es vor allem innere Fehlhaltungen und auch falsche Verhaltensweisen.
Entscheidend ist die kognitiv emotionale Haltung. Viele Menschen, die an einer Insomnie leiden, können gedanklich, emotional nicht mehr abschalten, können sich nicht mehr entpflichten. Dann werden die großen und kleinen Sorgen mit ins Bett genommen und wenn sich das Gedankenkarussell dreht, sind wir angespannt und Anspannung ist der Feind des Schlafes. Ein zweiter wesentlicher Faktor für die Entstehung und vor allem Beibehaltung einer Insomnie ist, dass, je mehr wir uns damit beschäftigen, desto mehr spannen wir uns an. Es gibt keine bessere Methode, um sich wach zu halten, als schlafen zu wollen. Wer schlafen will, bleibt wach! Deswegen ist ein besseres Therapieangebot immens wichtig. Wir können nicht alle Menschen in einem Schlaflabor behandeln, dafür sind es viel zu viele. Bei 6 Prozent der Bevölkerung sind es rund 5 Millionen Menschen.
MeinSchlaf: Woher kommt es, dass mehr Frauen unter einer Schlafstörung leiden als Männer?
Dr. Weeß: Es ist in den Studien so, dass auf einen Mann, zwei bis drei Frauen kommen. Das hat zweierlei Gründe: Zum einen hat es bei der Frau biologische Ursachen, weil sie im Rahmen des Monatszyklus hormonellen Schwankungen unterliegt. Das trifft auch auf eine Schwangerschaft oder die Menopause zu. Immer dann, wenn das Progesteron – das weibliche Sexualhormon – fehlt, ist der Schlaf schlechter. Progesteron hat eine beruhigende Wirkung und wirkt sozusagen wie ein Tranquilizer (Beruhigungsmittel, Anm. d. Red.). Und wenn das Progesteron fehlt, schlafen Frauen unruhiger und es kommt eher zu Schlafstörungen.
Der zweite Punkt ist, dass Frauen anders sozialisiert sind als Männer. Im psychologischen Sinne gesprochen, haben Frauen im Vergleich zu Männern die „dünneren Grenzen“. Dünnere Grenzen bedeutet, Frauen sind eher etwas sensibler, etwas empfindsamer. Frauen nehmen sich die Dinge leichter zu Herzen und können sich von Problemen nicht so gut freimachen. Da ist der Mann mit seinen „dickeren Grenzen“ besser dran. Der kann aufgrund seiner Sozialisation besser verdrängen und deswegen kann er auch die Probleme des Alltags besser vor der Schlafzimmertür lassen und sich in sein Kissen reinkuscheln und in den Schlaf finden. Frauen nehmen eher die Probleme des Alltags mit ins Bett.
Grundsätzlich muss man aber sagen, dass Frauen die besseren Schläferinnen sind, weil sie etwas länger schlafen können als Männer und weil Frauen flexibler sind ihn ihrem Schlaf-Wach-Rhythmus. Frauen können eher auch mal zu Zeiten schlafen, zu denen sie üblicherweise nicht schlafen – das fällt dem Mann schwerer. Und die Frauen haben Tiefschlaf bis ins hohe Lebensalter. Das hat der Mann nicht. Der schaut ab dem 50. Lebensjahr zunehmend in die Röhre, weil ihm immer mehr Tiefschlaf verloren geht. Also grundsätzlich sind Frauen die besseren Schläferinnen, aber sie haben mehr Handicaps.
MeinSchlaf: Braucht es in Deutschland mehr Aufklärung über guten, erholsamen Schlaf?
Dr. Weeß: Ja, unbedingt! Ich habe gerade noch einen Artikel geschrieben, in dem ich für eine neue Schlafkultur plädiere. Wir leben in einer Gesellschaft, wo wir es nicht hip finden, viel zu schlafen, wo gilt: Der frühe Vogel fängt den Wurm. Und wenn man wenig schläft, dass man dann eher als tüchtig und fleißig gilt. Aber man muss ganz einfach sagen, je weniger wir schlafen, umso mehr Gesundheitsrisiken haben wir. Wir schätzen den Schlaf insgesamt viel zu wenig und gerade, wenn wir abends mal vor der Frage stehen, gehen wir ins Bett, gehen wir ins Internet, treffen wir uns mit Freunden, spielen wir noch ein Computerspiel, gehen wir vor den Fernseher, gehen wir unserem Hobby nach oder arbeiten wir noch etwas – dann fällt der Schlaf meist hinten runter und wir entscheiden uns für etwas anderes. Dabei ist Schlaf ein elementares biologisches Programm. Er ist so wichtig wie Essen und Trinken. Wenn wir nicht essen, wenn wir nicht trinken, wenn wir nicht schlafen, sterben wir. Das sollte uns bewusst sein. Schlaf ist das wichtigste Regenerations- und Reparaturprogramm, das der Mensch hat.
MeinSchlaf: Das ist doch ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das informative Interview
Dr. phil. Dipl.-Psych. Hans-Günter Weeß ist Psychotherapeut, Somnologe und Leiter der Schlafmedizinischen Abteilung des Pfalzklinikums Klingenmünster. An der Universität Koblenz- Landau (WIPP) ist er als Dozent tätig und seit 2008 Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin.
Schlafkurse gegen Schlafstörungen werden auch von anderen Anbietern angeboten. Beispielsweise vom Kompetenz-Zentrum-Gesunder-Schlaf.
Quelle:
PDF: Gesundheitsreport der DAK.